Wahrnehmung

Wahrnehmen – Gestaltungsrichtlinien der Wahrnehmung

 

Richtlinien

Die Einfachheit

Einfachheit beruht auf der Neigung unserer menschlichen Wahrnehmung, Dinge zu vereinfachen.

Offensichtliches - Gesehen wird, was offensichtlich ist

Unter "offensichtliches" wird verstanden, das wir keinen Interpretationsspielraum in der Wahrnehmung zulassen dürfen.

Ein Beispiel:

Ich bilde eine Uhr ab, deren Zeigerstellung fünf Minuten vor zwölf Uhr anzeigt. Welche Assoziationen lässt eine derartige Darstellung für einen Betrachter zu?

  • ... gleich Mittagspause
  • ... ich muss mich auf den Weg machen
  • ... gleich kommen meine Gäste
  • ... Gefahr in Verzug

Für denjenigen, der sich mit einem Thema beschäftigt und sich im Thema mit seinen Emotionen befindet, mag das Abbild fünf Minuten vor Zwölf ganz klar und eindeutig sein. Für einen Betrachter, welcher unvorbelastet, also frei in seinen Gedanken, das Abbild der Uhr mit fünf Minuten vor Zwölf sieht, assoziiert und interpretiert aus seiner Lebenssituation oder seiner letzten verankerten Lebenserfahrung. Die Botschaft wird daher aller Voraussicht nach, in eine völlig andere Richtung interpretiert werden.

Offensichtliches muss daher offensichtlich, einfach, klar und frei von Interpretationsspielräumen sein.

Assoziationskette

Was können Sie tun, um das Abbild "fünf Minuten vor Zwölf" dennoch erfolgreich einzusetzen? Sie schaffen eine Assoziationskette, wie z.B. eine vorgelagerte Headline oder eine Bilderserie, aus der klar hervorgeht, wie fünf Minuten vor zwölf zu interpretieren sein wird.

Das einzige Assoziationsglied, das sicher für eine visuelle Assoziation herangezogen werden kann ist, die erste, die vorrangige oberflächliche Assoziation. Wo immer Assoziationsspielraum vorhanden ist, müssen Sie die Assoziation einleiten, wie erwähnt z.B. mit einer Headline.


Durchgehende Linie

Sie haben sicher schon einmal einen Schaltplan gesehen, dessen Linienführung mit waagrechten, senkrechten und mehrfach mit 90° Knick erneut umgelenkt wird. Dem gegenüber nehmen sie eine Zeichnung eines Kindes, welche die Lininenführung auf direktem Weg von A nach B wählt und lediglich die Hindernisse mit einer geschwungenen Linie umzeichnet. Welche der beiden Linienführungen ist für das Auge die angenehmere und nachvollziehbarere Linienführung?

Wahrnehmung folgt bevorzugt dem einfachsten Weg. Einem direkten Weg von A nach B zu folgen ist einfacher, selbst dann, wenn dieser leichte Bögen beinhaltet. Mehreren Geraden zu folgen, die mit einem starken Richtungswechsel, wie z.B. einem 90° Knick ihre Richtung wechseln um von A nach B zu gelangen, ist merkbar schwieriger.

Kontinuität

Unsere Wahrnehmung bevorzugt also Linien, die einem kontinuierlichen Lauf folgen und meidet einen Richtungswechsel. Daher sind wir auch in der Lage Linien zu folgen, die unterbrochen sind, wie z.B. aus einer Reihe von aneinandergereihten Punkten oder Strichen.

Die Kontinuität besagt, dass Elemente die an einer geraden oder gebogenen Linie angeordnet sind, eher als zusammengehörig wahrgenommen werden, als solche, die keiner gemeinsamen Richtung folgen.

Parallelität

Parallel verlaufende Linien werden als zusammengehörig empfunden. Dazu kommt noch, dass parallel verlaufende Linien den Eindruck für Ordnung und aufgeräumte Gestaltung vermitteln.

Nähe

Zeichnen Sie in eine quadratische Fläche mit gedachten geraden Linien. Zehn in der Horizontalen und zehn in der Vertikalen. Nun malen Sie Punkte mit einem jeweiligen Abstand von je fünf Millimetern in die Horizontale und gleichermaßen in die Vertikale, so dass Sie ein Quadrat vor sich haben, welches einem Sieb gleicht. Sie haben eine Symmetrie in alle Richtungen.

Jetzt wird es spannend. Verändern Sie nun den Punktabstand der Waagrechten (Horizontalen) Linien von fünf auf sechs Millimeter und belassen den vertikalen Punktabstand bei fünf Millimetern und schauen was passiert. Natürlich wollen wir uns das Gleiche auch anders herum ansehen. Jetzt belassen wir den Punktabstand in der Waagrechten (Horizontalen) bei fünf Millimetern und verändern den Punktabstand in der Senkrechten (Vertikale) von fünf auf sechs Millimeter und sehen uns dieses Ergebnis an.

Wir sehen hier ganz deutlich, wie Nähe Elemente (Punkte) beeinflusst und als zusammengehörend wirken lässt.

Geschlossenheit

Unter Geschlossenheit versteht man, das mit Linien Formen sichtbar gemacht werden, welche nicht gezeichnet wurden. Zeichnen Sie z.B. drei gleichschenkelige Dreiecke so, dass in der Mitte ein viertes gleiches gleichschenkeliges Dreieck entsteht, rein durch Anordnung, ohne dass Sie dieses gezeichnet haben. Diesen Effekt nennt man Geschlossenheit.

Gleichheit

Objekte gleicher Form werden als zusammengehörend wahrgenommen. Nehmen wir wieder ein Quadrat und diesmal befüllen wir seine Flache mit 36 gleich großen Kreisflächen und fügen dem vier einzelne Dreiecke hinzu. Das Gesetz der Gleichheit besagt, Gleiches, in diesem Fall gleiche Formen, nehmen wir als zusammengehörig wahr und grenzen somit die Dreiecke aus. Wir Menschen empfinden sofort, das gehört dort in aller Regel nicht hin und bildet eine eigene Gruppe der Dreiecke.

Prägnanz

Prägnanz, eine besondere Eigenheit, die mir sehr gut gefällt. Sie haben 50 Fußbälle in einem Regal geschlichtet, einen neben dem Anderen. 49 Stück Fußbälle sind in den Farben gelb/grün und ein Einziger in den Farben rot/blau. Dieser eine ragt heraus – wird als prägnant wahrgenommen.

Symmetrie

Stellen Sie sich vor, Sie schreiben einen Satz und setzen als ergänzenden Hinweis ein Wort in (Klammer}. In diesem gezeigten Beispiel eben, haben die Klammern keine Symmetrie. Sie werden daher nicht alls zusammengehörend empfunden, obwohl hier eine sich öffnende und eine sich schließende Klammer verwendet wurde. Symmetrien werden als zusammengehörend empfunden, selbst dann, wenn ich z.B. zwei sich öffnende Klammern (( oder (Werte( hintereinander setze und nicht wie üblich eine sich öffnende und sich wieder schließende Klammer ().

Erfahrung

Die Überschrift eines Artikels befindet sich nach jahrelanger Erfahrung im Header, im Kopfteil, über dem Artikel und nicht unter dem Artikel. Natürlich kann es interessant sein, diese Regel zu brechen und die Überschrift im Footer zu platzieren. Doch wenn Sie so eine Erwartungshaltung der Wahrnehmung durchbrechen, dann müssen Sie ganz genau wissen, was Sie tun und wie Sie den Betrachter in so einem Fall führen wollen und auch können.

Ein anderes Beispiel: Jahrelange Erfahrung im Umgang mit Webseiten haben uns gelehrt, das das Haussymbol "Home" uns zurück auf die Startseite bringt. Wenn Sie jetzt auf die Idee kommen, diesem Symbol eine andere Bedeutung zukommen zu lassen weil es Ihnen woanders besser gefällt, werden die Betrachter und Anwender ein echtes Problem bekommen, oder infolge Sie selber, außer dem Betrachter ist im Kontext ganz klar, dass es sich hier um eine Ausnahme und nicht um den Home-Butten der Website handelt.


Blickverlauf und Anordnung

Wir in unserer westlichen Welt, schreiben und lesen von links nach rechts und setzen von oben nach unten fort – das haben wir von Kind an so gelernt. Diesem Grundgedanken müssen wir im Gestalten folge leisten. Jedes Buch, jeder Brief, jedes Dokument und damit auch jeder Katalog, jedes Prospekt, jeder Folder und jedes Heft wird von rechts nach links geöffnet und wir lesen den Inhalt von links nach rechts, von links oben, nach rechts unten. Selbst wenn wir den Inhalt nur scannen, also überfliegen, tun wir das in unserer Schreibrichtung voll automatisch von links nach rechts, von oben nach unten.

Anfang links oben, Ende rechts unten ...

... das ist die weit verbreitete Faustregel – Am Anfang links oben steht der Titel oder eine Headline und unten rechts das Logo, quasi als Absender zum Schluss. Das Grafikdesign lässt dieser Faustregel glücklicherweise ein wenig Spielraum.

Wo platziert man sein Logo?

Dafür gibt es keine einheitlichen Gültigkeitsregeln.

  • Bei Inseraten meist unten rechts
  • Am Briefpapier tendenziell oben rechts, manches mal oben mittig
  • Prospekt, Inserat, Plakat, quasi als Absender unten rechts
  • Plakatwände eher oben rechts, da parkende Autos die untere Hälfte des Plakats häufig verdecken
Prägnanz vor Leserichtung

Wir Menschen schmeißen den Beginn unsere Leserichtung über Bord, sobald wir auf einen Blickfang, eine Prägnanz stoßen. Befindet sich mitten auf der Seite ein entsprechender Blickfang, beginnen wir nicht oben links zu lesen, sondern unsere Augen sind in die Mitte auf den Blickfang gerichtet und tasten ab, ob es hierzu interessante Informationen gibt.

Abgebildete Personen am Foto

Bei Personen, deren Blick und Bewegung nach rechts ausgerichtet sind, heißt das nach vor, weggehend, verlassend, aber auch in die Zukunft blickend. Bei nach links sehenden und bewegenden Personen heißt das zurück, rückwärts, heimkehrend, entgegenkommend und auch auf dich zugehend. Diese interpretierten Bewegungen und Blickrichtungen unterliegen dogmatischen Regeln und dürfen nicht missachtet werden.

Links ist vorher, rechts ist nachher

Stellen Sie sich die Abbildung zweier identer T-Shirts vor. Links ein sauberes strahlend weißes T-Shirt und rechts daneben eines, welches befleckt und schmutzig ist. Ist das kongruent zu einem vorher / nachher Vorgang wie bei einer Waschmittelwerbung? Nein selbstverständlich nicht. Hier gilt die Regel, links ist vorher, rechts ist nachher – also ist das verschmutzte T-Shirt links und das strahlend saubere T-Shirt rechts daneben zu positionieren.

empty